Fahrrad im Internet bestellen – eigentlich hatte ich dem durch schlechte Erfahrungen mit meinem Faltrad Dahon abgeschworen. Ein Rad muss man vorher Probefahren können. Es muss genau passen und durch einen Fachmann bzw. eine Fachfrau eingestellt werden. Es gibt Fahrräder, die nicht richtig passen und das merkt man bei einer Probefahrt ziemlich schnell. Also wieder um Fachhändler? Diese lösen nicht alle Probleme, die ein Fahrradkauf mit sich bringen kann: 2014 hatte ich beim Fachhändler ein teures Stevens Vapor Rennrad gekauft und quälte mich anfangs mit richtig schlechten Scheibenbremsen rum, die ich letzten Endes selbst gegen brauchbares Material mit viel Rechercheaufwand austauschte. Für einen erfahrenen Schrauber zwar kein Problem, aber bei einem Rad für 1.500 Euro trotzdem sehr ärgerlich. Seit fünf Jahren bremst der Cyclocrosser durch meinen eigenen Eingriff nun einwandfrei. Mein persönliches Fazit: Auch ein Fahrradhändler vor Ort hilft nicht unbedingt, wenn man ihn braucht und der Hersteller Mist gebaut hat.
In einigen Fahrradmagazinen las ich immer wieder von sehr professionellen Online-Fahrrad-Shops, die bei moderaten Preisen richtig gutes Material liefern sollen: Wie z.B. Rose und Canyon. Ein Arbeitskollege hatte gute Erfahrungen mit Bestellrädern aus dem Internet gemacht. Meine Partnerin suchte ein neues Fahrrad und entschied sich auf mein Anraten für ein leichtes Fitnessbike namens Canyon Roadlite WMN SL 7.0 mit 105er Shimano Schaltung. So ein 10 Kilo-Rad kostet im Laden um die Ecke mindestens 1.400 Euro und beim Internet-Versandhändler Canyon eben nur 1.000 Euro plus Versandkosten. Eins sollte jedoch vorher klar sein: Einige Fahrradhändler weigern sich solche “Versandhandel-Fahrräder” zu warten und zu reparieren. Ich kann das verstehen, allerdings kann ich die Wartung und Reparatur an Rädern selbst durchführen und bin kaum auf Werkstätten angewiesen. Zum Black-Friday-Wochenende gabs den Versand bei Canyon kostenlos. Schon am Nikolaus-Freitag, also nur vier Tage später, wurde das Fahrrad dann superschnell im Pappkarton bis an die Haustür geliefert.
> Lieferumfang
> Die eigene Montage des Fahrrads
> Fahrwerk zusammenbauen
> Die erste Probefahrt und Zubehör
Lieferumfang in der Canyon Bike-Box
Das Paket wog laut DHL insgesamt knapp 13 Kilogramm. Abzüglich Kartonage, Handbüchern und Werkzeug blieben nach der Montage ziemlich genau 10 Kilogramm Fahrrad über. Canyon liefert das Rad vormontiert in einem ausgeklügelten Karton ähnlich eines Ikea-Regals aus: Es ist alles dabei was man zur Selbstmontage benötigt. Selbst wenn man überhaupt keine Fahrradwerkzeug besitzt fehlt für den ersten Ausritt nur noch eine Luftpumpe, um die Reifen aufzupumpen. Alles andere wird mitgeliefert. Das Unboxing und die Montage des Fahrrads macht Freude, jeder Schritt ist perfekt durchdacht, Canyon hat beim Package-Design wirklich ganze Arbeit geleitstet.
Trotzdem sollte man sich für die Montage des Fahrrads gut eine Stunde Zeit nehmen. Der Steckschlüssel mit Bit-Einsätzen entpuppt sich als einfacher Drehmomentschlüssel, damit bei der Montage keine Schrauben über das Maß hinaus angeballert werden. Das Fahrrad ist mit Klettbändern und Mossgummi-Pads so verpackt, dass man es ohne Kratzer auch wieder zurück senden kann, falls es einem nicht passt. Schon deshalb ist beim Zusammenbau natürlich absolute Vorsicht geboten. Egal wer den Rücktransport bezahlt: Ich kann nur jedem raten bei der Montage wirklich ganz vorsichtig vorzugehen, das sind alles empfindliche Hightechteile, die in verantwortungsvolle Hände gehören.
Die Montage des Fahrrads
Neben dem Werkzeugsatz zur Montage fällt einem gleich das mehrsprachige, bibeldicke Canyon-Fahrrad-Montagehandbuch in die Hand, dessen Studium sich zweifelsohne lohnt. In mehreren Kapiteln wird knapp beschrieben, wo Montagepaste aufgetragen werden muss, was beim Einbau der Räder bei den hydraulischen Scheibenbremsen zu beachten ist und wie man empfindliche Carbonteile fachmännisch verschraubt. Bis auf die Gabel sind an diesem Modell übrigens keine dran…
Der Blick in die fast ausgepackte Transportbox gibt erst zum Schluss den Blick auf das fabrikneue Rad frei. Man kann es allein ganz leicht heraus heben. Die Transportbox kann übrigens praktischerweise auch gleich als Fahrrad-Montageständer verwendet werden: Siehe Videoclip. Der Hersteller hat hier wirklich mitgedacht. Der Karton dürfte übrigens auch in die meisten Pkws mit umklappbarer Rückenlehne passen.
Räder, Rahmen, Lenkervorbau und Sattelstütze sind am Rahmen mit Klettbändern fixiert und werden zusammen als verschnürtes Paket aus der Box gezogen. Die Klettbänder werden erst danach geöffnet und die Luftpolsterfolie wird vom Lenkervorbau entfernt. Achtung: Hier gibt es schnell Kratzer: Den Lenker also so lange wie möglich eingepackt lassen und zunächst die anderen Teile montieren.
Eigentlich ist die Montage wirklich ganz einfach. Trotzdem lohnt sich ein Blick in die mitgelieferte Lektüre. Hier erfährt man zum Beispiel ganz genau, wo überall Montagepaste hinkommt und wo die passenden Newtonmeter-Angaben zu finden sind. Menschen ohne jegliche Schraubererfahrung rate ich sich Hilfe von Freunden oder Arbeitskollegen zu suchen. Die Psychologie dahinter: Ein nagelneues, modernes Fahrrad aufzubauen macht eindeutig viel mehr Spaß, als einen blöden Platten zu reparieren!
Aus Fachzeitungen wusste ich, dass bei schnellen Rädern von Canyon nur ein paar billige Notpedalen mitgeliefert werden. Dies ist noch ein Relikt aus dem Rennradsektor, bei dem fast immer Klick-Pedalsysteme gefahren werden. Bei einem reellen Gegenwert von ca. sieben Euro der mitgelieferten Plastik-Exemplare ist hier natürlich Skepsis angebracht: Also gleich ein vernünftiges Paar Pedale mitbestellen. Entweder Klickpedale für ein bestimmtes System, Semiklick – also eine Seite Klickpedale und die andere für normale Schuhe oder wie hier einfach ein Satz symmetrische Plattformpedale. Ab ca. 50,- Euro gibt es dann Qualität.
Die Gewinde der Pedale werden mit Fett oder Montagepaste in das Gewinde der Kurbeln eingesetzt, damit man sie nach Jahren wieder leicht lösen kann. Wichtig ist die genaue Beachtung von linker und rechter Pedale in Fahrtrichtung, da sie ein atypisches Gewinde haben, dass sich unter Last beim Treten nicht losdrehen kann. Normalerweise sind beide Pedalen eindeutig mit einem Rechts-Links-Aufdruck gekennzeichnet, der nicht verwechselt werden darf. Zum Schluss werden beide Pedalen mit dem mitgelieferten Pedalschlüssel festgezogen. Der Innensechskantschlüssel ist dafür nicht geeignet, da man damit bei hohem Kraftaufwand viel zu schnell abrutscht.
Fahrwerk des neuen Fahrrads zusammenbauen
Der Vorderradeinbau: Interessanterweise wird die Schnellspannachse vorn ausgebaut als Einzelteil mitgeliefert. Man muss sie also erst samt Federn in das Vorderrad einsetzen. Dann muss die orange Transportsicherung zwischen den Scheibenbremsbelägen entfernt werden. Die Bremse darf jetzt keinesfalls betätigt werden, sonst kommen die Kolben der selbstzentrierenden Bremse zu weit aus dem Bremszylinder und können sich böse verklemmen oder undicht werden. Nun muss das Vorderrad samt Bremsscheibe vorsichtig zwischen den Bremsbelägen in die Gabel gesetzt werden. Das Rad muss sich ohne Schleifgeräusche ganz frei drehen lassen. Erst dann darf die Scheibenbremse erstmalig betätigt werden.
Sowohl die Sattelstütze als auch der Vorbau werden vor dem Verschrauben mit Montagepaste bestrichen. Dies verhindert später Knarzgeräusche, vermeidet Korrosion und sorgt für eine gute Flächenklemmung der Rohrquerschnitte bei weniger Klemmkraft. Wird die Sattelstütze zu weit in den Rahmen geschoben, können beim herausziehen schon die ersten Kratzer sichtbar werden, denn der Alurahmen ist innen rau. Das Sattelrohr also vorsichtig Stück für Stück einschieben und die Schrauben nicht gleich voll anziehen. Die beste Sitzposition muss während der ersten Probefahrten ermittelt werden. Hierbei geht es um Millimeter, die biomechanisch sehr viel ausmachen.
Ganz zum Schluss wird die Lenkerklemmung festgezogen. Vorher muss die Abdeckkappe des Vorbaus ganz vorsichtig angezogen werden. Beim Ahaed-Set Vorbau hat sie direkten Einfluss auf die Leichtgängigkeit des Lenkkopflagers. Es darf nicht wackeln oder knacken, muss aber ganz leichtgängig sein. Bei Canyon liegen zwei dicke Spacer unter dem Lenkervorbau. Diese können einzeln heraus genommen – bzw. über dem Vorbau montiert werden, um eine sportliche, aerodynamische Körperhaltung möglich zu machen. Bei Anfängern mit Fitnessbikes und Rennrädern lässt man sie am besten erstmal dran, um die FahrerIn an die neue Haltung mit mehr Körpergewicht auf den Händen langsam zu gewöhnen.
Schaltung, Rahmen als auch Bremsen haben Aufkleber mit Warnhinweisen, die ich gerne entferne, da sie zumindest an den Bremsscheiben bei der ersten Gewaltbremsung dahin schmelzen. Die Scheibenbremsen müssen anfangs durch ein paar kräftige Bremsungen zwingend eingefahren werden, damit sich die Beläge perfekt an die Scheiben anpassen. Dabei werden sie sehr heiß. Achtung: Auf den ersten Metern ist die Bremsleistung von neuen Scheibenbremsen noch mangelhaft. Gewissenhafte Zeitgenossen entfetten die Bremsscheiben vor der ersten Fahrt sorgfältig mit Alkohol, um letzte Öl- und Fettspuren von der Vormontage des Fahrrads zu beseitigen.
Die erste Probefahrt
Vor der ersten Probefahrt des Canyon Roadlite müssen die Reifen noch aufgepumpt werden. Tourenräder bekommen ca. 3-4 Bar, Rennräder ca. 4-7 Bar bzw. nicht mehr als die Maximalwerte, die auf der Reifenflanke aufgedruckt sind. Eine Standpumpe mit Manometer ist eine sinnvolle Investition. Gegebenenfalls muss die Schaltung noch leicht nachjustiert werden, da sich die neuen Bowdenzüge noch gesetzt haben. Ein Satz Innensechkantschlüssel bzw. ein Minitool ist bei der ersten Probefahrt zwingend erforderlich, um Sattelposition, Griffneigung und die Lenkerhöhe perfekt einzustellen. Leider war das Winterwetter so schlecht, dass wir das neue Rad noch nicht ausprobieren konnten, da es dauerhaft regnete und stürmte.
Nachtrag April 2020:
Test Canyon Roadlite WMN SL 7.0
Nach den ersten drei Test-Touren entpuppte sich das Canyon Roadlite WMN SL 7.0 als knackiges Fitnessbike. Es passt für ein Bestellrad genau auf die ausgemessene Größe der RadlerIn. Lediglich die Schaltung musste ich am Montageständer neu einjustieren, hier hat Canyon bei der Auslieferungs-Einstellung geschlampt. Menschen ohne Fahrrad-Montageständer oder technisches Know-how stehen dann schnell ratlos da. Viele Fachhändler weigern sich Internet-Bikes wie ein Canyon zu warten.
Der erste Gang ließ sich nicht einlegen, H und L-Schrauben am Schaltwerk und Umwerfer musste ich nachstellen und auch danach entstanden beim Radeln enttäuschenderweise noch immer Knackgeräusche. Bei der zweiten Tour merkten wir dann, dass der Sattel oder die Sattelstange dafür verantwortlich war. Nachdem ich die Schrauben nachgezogen hatte, war zunächst Ruhe. Am Schluss der Tour kam das seltsame Knacken sporadisch wieder. Nach 60 Kilometern hatte das Rad den Spitznamen “Knacki”. Zuhause habe ich dann das Sattelrohr nochmal neu mit bestrichener Montagepaste eingesetzt. Evtl. ist das Geräusch noch da, aber es kommt definitiv vom Sattel bzw. von der Sattelstange und lässt sich sicherlich irgendwie beheben – zur Not mit einer um 180 Grad verdrehten oder zweiten Sattelklemme.
Canyon Roadlite WMN SL 7.0 Test-Fazit: Ansonsten gibt es nichts zu meckern. Das Fahrverhalten ist ausgezeichnet stabil, mit nur 10 kg Gesamtgewicht beschleunigt das Rad für den Preis erstaunlich gut, die 105er Schaltung lässt sich mit jedem gefahrenen Kilometer immer geschmeidiger bedienen. Die Shimano-Bremsen tun ihr Werk – nun ja, hier ist sicherlich noch Luft nach oben. Eine Umrüstung auf Metallbremsbeläge mit entsprechenden Scheiben für rund 90,- Euro wie bei meinem Stevens Vapor mit mechanischen Scheibenbremsen brächte nochmal richtig Biss sowie eine bessere Dosierbarkeit durch geringere Handkräfte. Aber das ist Meckern auf hohem Niveau. Beim Canyon Roadlite stimmt einfach das Preis-Leistungsverhältnis.
Sinnvolles Fahrradzubehör
Das Fitnessbike wiegt nackt genau zehn Kilogramm. Man sollte sich gut überlegen so ein schönes und graziles Leichtgewicht mit unnötigem Gebamsel zu individualisieren. Trotzdem sind noch ein paar Teile für den Fahrradalltag nötig. Hier kann ich nur raten, bei allen Anbauteilen penibel aufs Gewicht und auf Qualität zu achten. Die gesetzlich vorgeschriebene Reflektoren aus dem letzten Jahrhundert werden von Canyon beim Roadlite 7 mitgeliefert, ob man sie gesetzestreu verbaut sei jedem selbst überlassen. Statt der Speichenreflektoren kann man z.B. auch unaufälligere Speichensticks nehmen. Einige Dinge fehlen trotzdem noch:
- Diebstahlsicherung > Tipps für leichte Räder
- Beleuchtung – ohne gehts eigentlich nicht – und eine Klingel: Sie ist Gold wert!
- Trinkflaschenhalterung plus Flasche
- Fahrradcomputer oder eine Smartphonehalterung
- evtl. ein leichtes Steckschutzblech für den Notfall
- evtl. eine Werkzeugtasche mit Flickzeug, Pumpe, Reifenheber und einem Ersatzschlauch
- evtl. ein Seitenständer – sieht nicht schön aus, ist aber sehr praktisch
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