Cyclocross Renner unter neun Kilo zum fairen Preis
Welcher Radler wird mit einem Stevens Vapor Cyclocross-Rad richtig glücklich? Eigentlich alle Hobbysportler/-Innen, denen ein Rennrad zu empfindlich, zu unbequem auf Reisen und zu wenig feldwegtauglich ist. Die Radkategorien Fitnessbike, Reiserennrad, Randonneur, Winterrennrad, Gravelbike, Beachracer usw. haben sich in den letzten Jahren noch mehr vom Rennrad emanzipiert. Immer feingranularer werden Räder für spitze Nischenzielgruppen gebaut. Zum Jahresende 2014 schlug ich zu und erstand ein Stevens Vapor Cyclocross aus dem selben Jahr. Ich wollte das Rad nicht dazu nutzen, um Crossrennen zu absolvieren, sondern um damit ohne Reue über schlechte Radwege heizen zu können. Die sind in Deutschland ja eher die Regel, als die Ausnahme. Das Rad gab Ende November 2014 beim Händler ein paar hundert Euro günstiger als zum Listenpreis von damals 1.800,- EUR.
Warum mich das Stevens Vapor 2014* überzeugt hat:
- Gute Ausstattung mit Carbongabel, leichte Räder, Scheibenbremsen und Shimano Ultegra Schaltung
- Leichter, stabiler, schneller aber trotzdem komfortabler Alurahmen mit Carbongabel – Fahrradgewicht unter 9 Kilogramm
- Für ein Cyclocross sehr ausgewogene Fahreigenschaften, ruhiger Geradeauslauf, komfortable Ergonomie, sogar Reisequalitäten
- Sehr breite Reifenmontage wie z.B. der pannensichere “Schwalbe Kojak” möglich
- Schlichtes Design ohne Firlefanz, sauber verlegte, innenlaufende Züge
- Extrem gutes Allroundbike – vielleicht für rund 1.500,- Euro damals das Beste aus den Disziplinen Cyclocross, Gravelbike und stabilem Rennrad auch für Pisten. *Link zum Stevens Vapor von 2014
Erfahrungen mit meinem ersten Hightech-Rad
Es war mein erstes, leichtes Rad mit Rennradlenker. Die Fahreigenschaften enttäuschten mich nicht. Als Rennrad-Neuling taten mir am Anfang schon nach 30 Kilometern die Hände weh. Insbesondere die Daumenmuskulatur schien mit dem Gewicht meines Oberkörpers anfangs überhaupt nicht zurecht zu kommen. Mit gepolsterten Handschuhen ging es dann mit wöchentlicher Übung immer besser. Auch mit den einseitigen Klickpedalen wollte ich mich nicht richtig anfreunden. Zu den Pedalen addierten sich beim Erstkauf noch zwei federleichte LED-Lampen, eine mit Werkzeug, Handy und Notgroschen gefüllte Hüfttasche, ein einfacher Computer und ein paar leichtlaufende Straßenbreitreifen Conti Grand Prix 4000 II hinzu. Fertig war meine allererste Rennradausstattung.
Die montierten Stollenreifen hängen bis heute ungenutzt in der Garage. Sie sehen super aus, fressen auf Asphalt für meine Straßen-Einsatzzwecke zuviel Kraft. Nur eine einzig gewünschte Sonderlocke musste der Händler vor dem Kauf realisieren: Das Vertauschen der linken und rechten Bremse am Lenker, da ich Motorradfahrer bin. Der rechte Hebel bremst für mich immer vorn. Experimente mit nicht vertauschten Hebeln führten bei mir in der Vergangenheit zu ernsthaften Verletzungen. Bei mechanischen Scheibenbremsen können dazu einfach die Bowdenzüge vertauscht werden, neues Lenkerband drum – fertig. Bei hydraulischen Scheibenbremsen funktioniert das nicht so einfach.
Auf den ersten Ausfahrten kam ich bergab auf Spitzengeschwindigkeiten von bis zu 65 km/h. Solche Geschwindigkeiten fühlen sich auf dem Fahrrad viel intensiver an, als auf einem Roller oder Motorrad. Es entsteht anfangs ein wahrer Geschwindigkeitsrausch. Der Körper verschmilzt mit dem Rad zu einer einzigen Maschine. Trotz harter Fahrbahn mit schlechtem Asphalt überzeugte mich sofort ein nahezu perfekter Geradeauslauf, gekoppelt mit federnden Rahmenelementen, die harte Stöße in Form von Materialflexibilität verblüffend effizient auffangen. Trotzdem hatte ich nie ein teigiges Fahrgefühl.
Alle Bauteile des Vapor-Fahrwerks sind perfekt aufeinander abgestimmt. Allein der Lenker samt Vorbau schluckt harte Stöße fast wie eine Federgabel. Die Geometrie des 56er Rahmens passte mir mit meinen 1,76 wie angegossen. Jede Pedalumdrehung sorgt für direkten, ungebremsten Vortrieb. So intensiv hatte ich Beschleunigung und Geschwindigkeit vorher noch auf keinem Rad erlebt. Es war ein echtes Aha-Erlebnis, fuhr ich doch die letzten Jahre schon mit einem “leichten 12-Kilo Rad” mit Nabenschaltung. Diese Hightech-Maschine spielte in einer ganz anderen Liga… Ich kann nur jedem Radler dringend empfehlen, unbedingt mal ein schnelles Fahrrad unter 10 Kilo zu fahren, der Unterschied ist gewaltig.
Die Scheibenbremsen des Stevens Vapor entpuppen sich als Achillesferse
Bei aller Begeisterung für das schöne Vapor: Schon im Fahrradladen bei der ersten Probefahrt überzeugten mich die laschen Shimano BR-CX77- Scheibenbremsen ohne definierten Druckpunkt mit hohen Handkräften überhaupt nicht. Der Händler versicherte mir, dass die Bremsen eingebremst werden müssten und erst danach ihre volle Wirkung entfalten. Das leuchtete mir ein. Leider war das ein leeres Versprechen. Hinterher erfuhr ich, dass Shimano den Vorgänger dieser mechanischen Scheibenbremse aus Sicherheitsgründen ganz schnell wieder vom Markt genommen hatte. Dabei sahen die Bremsen mit ihrer Lochung so verlockend professionell aus…
Scheibenbremsen Shimano BR-CX77: Der Griff ins Leere…
Bei einer leichten Bergabfahrt erlebte ich, wie es sich anfühlt, den Bremsgriff einer nicht ausgereiften Scheibenbremse bis zum Lenkeranschlag zu ziehen, ohne dass auch nur der Hauch einer bemerkenswerten Verzögerung einsetzt. Ein Alptraum. Die Shimano Resin-Kunststoffbeläge mussten alle 70 Kilometer mit zwei verschieden großen Innensechkantschlüsseln nachgestellt werden – wehe man hatte die Werkzeuge auf einer Tour vergessen: Dann ging plötzlich nur noch eine Bremse. Bei einer miserablen Bremsleistung ohne exakten Druckpunkt war es teilweise noch nicht einmal am Hinterrad möglich, das Rad absichtlich ohne hohen Kraftaufwand zu blockieren. Jede Baumarkt-Cantileverbremse leistete mehr und war obendrein viel besser zu dosieren. Zunächst über teure Spezialbremsbeläge von Cool-Stop stieg ich dann komplett um auf Metallbremsbeläge mit entsprechenden Bremsscheiben. Erst danach war die Bremsleistung für mich zufriedenstellend bis gut. Damit entfällt auch die ständige Nachstellerei. Die Kosten für die Umrüstung beliefen sich zwar nur auf knapp ca. 90,- Euro für die Teile, aber die Recherche zu Shimano-Kompatibilitäten, Preisen und optimalen Paarungen war sehr zeitintensiv.
Was den Hersteller 2014 dazu bewogen hat, diese lebensgefährlichen Bremskombination aus organischen Belägen und 10-Euro-Scheiben an ein 1.800,- Euro teures Cyclocross zu montieren, kann ich mir bis heute nicht erklären. Wahrscheinlich bremst der Radprofi im Gelände kaum. Interessanterweise wurden die Bremsen in der Fachpresse als Innovation gelobt. CYCLOSPRINT (BE) schrieb 2011 zum Vapor: “…Tolle Disc-Bremsleistung und hochwertige Ultegra Ausstattung.” Ob die wirklich aus der Serienfertigung stammten? Andere Vapor-Fahrer-/Innen beklagten sich in Foren ebenfalls bzw. verkauften ihr Rad kurzentschlossen wieder.
Dabei reicht der Umbau auf Metallbremsbeläge mit besseren Bremsscheiben vollkommen aus. Ich entschied mich für Shimano Metall-Titan-Beläge G04TI und zwei Bremsscheiben Shimano SM-RT76 in 160 mm. Eine Anfrage bei Stevens ergab leider, dass man aufgrund der Carbongabel vorn beim Vapor keine 180 Milimeter große Bremsscheibe montieren darf. Neben den Metallbremsbelägen und Scheiben können übrigens noch besonders zugfeste Bremszüge ( z.B. von Jagwire) montiert werden, sowie bessere, (halbhydraulische) Bremssättel mit guter Modulation. Aus meiner Sicht ist beides nicht unbedingt nötig, da der Montageaufwand dabei erheblich ist: Es müssen neue und längere Züge durch den Rahmen verlegt werden… nichts für Anfänger. Alle Verbesserungsmaßnahmen führen dann letzten Endes an das untere Niveau von hydraulischen Scheibenbremsen. Diese sind an den neueren Baujahren des Stevens Vapor natürlich ab Serie montiert. Merke: Beim Cyclocross-Gebrauchtkauf ein besonderes Auge auf mechanische Scheibenbremsen werfen.
Mit Straßenreifen zum Universal-Rennrad
Die Conti 4000 Grand-Prix II Straßenreifen waren bisher eindeutig die beste Tuningmaßnahme. Das Stevens Vapor wird mit Straßenreifen nochmal erheblich schneller. Auf Asphalt sind diese Reifen ein echter Traum. Ich fahre sie bereits seit 3.000 Kilometern auf dem Stevens und hatte bisher noch keine Panne, obwohl sie stellenweise schon tiefe Einschnitte von Scherben haben. Die 28 mm Breite bietet bei ca. 5-6 Bar Luftdruck einen sehr ausgewogenen Kompromiss aus Komfort, Haftung und Speed. Für Geländefahrten sind sie natürlich nicht so richtig gemacht. Es gibt von Conti noch eine 4-Season-Version des Grand Prix 4000, die auch für Winterfahrer-/ Innen sehr gut geeignet ist. Die stabilen Laufräder stecken mit etwas breiteren 28er Reifen übrigens auch flache Bordsteine klaglos weg. Wer sich zwischen Straßeneinsatz und Gelände nicht festlegen will, greift zu den Schwalbe-Reifen G-ONE Allround oder G-ONE Speed mit feinem Noppenprofil. Radler, denen Komfort über alles geht, können sogar meines Wissens einen fetten Schwalbe Kojak montieren. Damit steigert man die Pannensicherheit sowie den Federungskomfort um ein Vielfaches. Es ist einer der leichtesten Reifen für schnelle Tourenräder.
Schnelle LED-Beleuchtung
Für mich war eine gute Beleuchtung beim Kauf des Rads im dunklen November obligatorisch. Ich wollte das neue Cyclocross allerdings nicht gleich mit XL-LED-Baustellenlampen verunstalten. Also begann die Suche nach kleinen, leichten aber doch leistungsfähigen LED-Akkulampen. 2014 war das gar nicht so einfach wie heute. Vorn ziert eine federleichte Litecco Highlux den Lenker, hinten eine sehr aerodynamische Cube Pro. Beide Lampen überzeugen mich bis heute speziell für den Einsatzzweck an leichten Sporträdern. Sie können in wenigen Sekunden demontiert werden. Im Laufe der zeit kam noch ein Flaschenhalter und eine Schlauchtasche hinzu. Schnell merkte ich: Jedes zusätzlich angebrachte Teil versaut die Linie dieses eleganten Renners.
Computer, Klingel, Ersatzschlauch, Werkzeug am Rennrad
Da ich mit dem Vapor oft auf Radwegen unterwegs bin, brauche ich zwingend eine Klingel. Entgegen landläufiger Meinungen kann ich dadurch viele brenzlige Situationen entschärfen, bevor sie überhaupt entstehen. Auf dem Foto erkennt man die Klingel nur versteckt als Überkopfmontage hinter den Bowdenzügen unter dem Vorbau. Im Laufe der letzten vier Jahre hat sie mir am Stevens Cyclocross wirklich sehr gute Dienste geleistet. In einer leichten Hüfttasche habe ich das wichtigste Werkzeug dabei. Der simple Digitaltacho wurde mittlerweile durch einen Sigma Rox 5.0 mit zentrierter Befestigung zehn Zentimeter vor dem Lenker getauscht: Diese zehn Zentimeter weiter vorn sind eine Wohltat für meinen Nacken beim Blick auf die Daten.
Freilauf statt Klingel – so macht man sich mit dem Stevens Vapor auch bemerkbar
Der Freilauf der Shimano Ultegra macht wirklich richtig Krach. Das Stevens Vapor Cyclocross hört man dadurch überaus deutlich, wenn mal nicht in die Pedale getreten wird. Die Ultegra-Schaltung musste bis heute nicht groß nachgestellt werden. Sie funktioniert sehr zuverlässig, auch bei Minusgraden. Gewöhnungsbedürftig ist das Herunterschalten am vorderen Zahnkranz: Das Schaltpaddel muss sofort losgelassen werden, sonst gibt es Schleifgeräusche und die Kette verbleibt auf dem großen Rad. Nach 300 Kilometern hatte ich mich daran gewöhnt. Nach ca. 2.500 Kilometern habe ich die Kette ausgewechselt, damit die Ritzel nicht so stark verschleißen. Danach fühlte sich die Schaltung wieder wie neu an. Die Originalkette gibt es in den Wintermonaten in einigen Online-Shops schon für gut 20,- Euro statt für 50,- im Fahrradladen! Ich lernte an dieser hochwertigen Kettenschaltung: Weniger ölen ist viel besser! Kette und Ritzel müssen aber auch ohne Geländefahrten trotzdem alle paar hundert Kilometer penibel gereinigt werden, damit alles leicht läuft. Der schwarze Schmier sollte nicht lange dran bleiben…
Fazit: Den Kauf des Stevens Vapor habe ich bis heute nicht bereut. Das Rad macht mir echt Freude und läuft auch nach 3.000 Kilometern noch wie am ersten Tag. Ich nutze es nur für Ausfahrten am Wochenende auf der Straße. Für mich ist das Stevens ein reines Wochenendrad. Also noch immer etwas Besonderes. In der Woche fahre ich günstigere Räder mit geraden Lenkern. Am meisten freue ich mich insgeheim immer bei richtig schlechten Radwegen über den grandiosen Fahrkomfort. Hier ist das Vapor in seinem Element. Nachdem die organischen Resin-Bremsen auf Metallbremsbeläge umgebaut waren, entstand echte, innere Zufriedenheit. Die Verschleißteile sind überschau- und bezahlbar, der entstehende Spaßfaktor während der Fahrt hingegen ist unbezahlbar.
Nachtrag Mai 2021: Das Rad hat mittlerweile über 6.000 km runter und ich bin immer noch glücklich. Bisher reichte es nun wirklich aus, einmal pro Jahr die Titan-Bremsbeläge nachzustellen. Bisher hab ich die Beläge noch nicht gewechselt! Bei 5.000 km riss der Schaltbowdenzug des hinteren Ultegra-Kettenumwerfers. Man sagte mir, dass dies die Achillesferse der eigentlich sehr zuverlässigen Ultegra-Schaltung sei. Die Reparatur kostete bei meinem Händler keine zwanzig Euro. Ab jetzt werde ich den Zug alle 4.000 km wechseln lassen. Der nackte Bowdenzug läuft durch den Rahmen und das Einfädeln ohne Liner und Kenntnisse ist fummelig. Leider habe ich nicht gesehen, wie es funktioniert.
Insgesamt entpuppt sich das Stevens Vapor seit dem Bremsen-Hack als sehr wartungsarm. Lediglich in eine neue Kette pro Jahr habe ich noch investiert um die Ritzel zu schonen. Die Kunststoff-Kettenröllchen hinten sollten beim nächsten Mal mit gewechselt werden. Der Continental GP-4000 Hinterradreifen ist mittlerweile ganz leicht eckig gefahren. Ein Jahr macht er sicher noch, die Verschleißmarkierungen (in Form von kleinen Bohrungen im Gummi) sind noch nicht abgefahren. Mittlerweile gibt es ja den nochmals leicht verbesserten Conti GP-5000. Die Reifen sind seit Corona auch in der Wintersaison teuer geworden, aber voraussichtlich 7.000 Rennrad-Kilometer sind ja auch echt eine Leistung. Bisher hatte ich nur einen Stand-Platten am Vorderrad durch einen kleinen Stich.