Seit 2013 fahre ich in der kalten Jahreszeit mit Fahrrad-Winterreifen auf meinem Pendlerrad zur Arbeit und habe damit in den Monaten Dezember-März sehr gute Erfahrungen gemacht. Gut, der letzte Superschnee-Winter 2021 war zum Radeln einfach zu heftig. Ohne 4×4 Antrieb ging bei den Schneemassen mit Tiefsttemperaturen von -15 Grad Celsius selbst im gar nicht schneeverwöhnten Bielefeld nicht mehr viel.
Meine Lebensgefährtin fährt seit Jahren mit Michelin Star-Grip Allwetterreifen im Winter. Es gibt eigentlich jedes Jahr die Frage von Freunden und KollegInnen, ob sich Winterreifen für Radfahrer überhaupt lohnen. Ich frage mal zurück: Lohnt es sich denn für Pkws, Busse und Lkws, oder dient das nur dazu, um die Wirtschaft anzukurbeln? Die Tests unserer Fahrrad-Winterreifen wurden mit der Zeit ein echtes Sicherheits-Plus, an das man sich gewöhnte. Mittlerweile sind wir beide von den Vorteilen überzeugt und möchten die Winter-Pneus gerade am Fahrrad nicht mehr missen.
> Wann Fahrrad Winterreifen Sinn machen
> Der Markt für Fahrrad-Winterreifen
> Spike-Reifen fürs Rad
> Allwetterreifen Michelin Stargrip im Winter
> Grand Prix 4 Season für Winter-Rennräder
> Fazit nach dem Test: Sind Fahrrad-Winterreifen sinnvoll?
Wann Fahrrad Winterreifen Sinn machen
Ein Autoreifen hat ungefähr die Aufstandsfläche einer Hand mal vier Räder – ein Fahrradreifen die eines Fingers – aber nur mal zwei Räder. Zwei Finger Aufstandsfläche sind aus meiner Sicht ziemlich dünnes Eis, wenn es im Winter mal etwas rutschig wird. Und wenn ich mit dem Rad im Winter längere Strecken fahre, oder im Berufsverkehr pendle, dann will ich das möglichst sicher tun. Denn gerade im Winter lauern noch andere Herausforderungen auf Radfahrer:
- Es ist kalt. Das Gummi von Sommerreifen wird hart. Und auch die eigenen Knochen werden bei Kälte erheblich spröder…
- Es ist dunkel. Permanentes Fahren mit Licht ist anstrengender, die Fahrbahn ist trotzdem nicht optimal ausgeleuchtet wie bei Tageslicht im Sommer.
- Es ist oft nass. Meine Sommerreifen sind profillose Slicks (Schwalbe Kojak), die sehr leicht sind und extrem gut abrollen. Bei Nässe geht das noch erstaunlich gut, aber für feuchtes Herbstlaub, Streugut , Sand oder im Schneematsch sind diese Sommerreifen überhaupt nicht gemacht. Sondern für heißen Asphalt.
- Es braucht lange Einpackzeiten, bevor man überhaupt im Winter mit dem Rad losfahren kann. Man muss morgens bei Dunkelheit schon seinen inneren Schweinehund überwinden
- Wenn es dann auch noch etwas glatt sein könnte, wird dieser hundert Gründe finden, sich auf gar keinen Fall aufs Fahrrad zu setzen, denn es spricht schon bei leichtem Schneefall so ziemlich alles dagegen.
- Radwege werden von den Gemeinden erst später geräumt als die Straßen – oder überhaupt nicht
Hat man aber erstmal Winterreifen aufgezogen, fährt es sich auch psychologisch hervorragend rechts am morgendlichen Autostau vorbei! Ausführliche Tipps für das > Radfahren im Winter gibt es hier
Denn der motorisierte Straßenverkehr steht sich im November und vor Weihnachten im Dauerstau erfahrungsgemäß die Räder eckig. Außerdem muss man das Velo beim ersten Neuschnee ja zumindest mal richtig ausprobieren oder? Denn auch in der kalten Jahreszeit macht das Radfahren große Freude, zumindest wenn die Kleidung stimmt. So lange es auf den Straßen nicht richtig glatt wird, spricht nichts gegen den Einsatz im Winter. Der Körper bleibt trainiert und die Seele gut gelaunt. Selbst E-Bikes kombinieren das etwas schwerere Radfahren durch höhere Widerstände mit allen Vorteilen inklusive garantiertem Parkplatz in der Weihnachtszeit direkt in den Innenstädten.
Der Markt für Fahrrad-Winterreifen
Die Reifenindustrie tut sich in Deutschland beim Thema Fahrrad-Winterreifen auch 2019 noch schwer. Denn bei der Produktion von Fahrradreifen wird es erst bei Massenproduktion richtig lukrativ für die Firmen. Einige Hersteller produzieren aber auch aus Image-Gründen echte Winterreifen für Fahrräder, denn sie wollen Marktführer werden oder bleiben:
- Schwalbe bietet seit Jahren vor allem Fahrrad-Spikereifen für Eis und Schnee an, es gibt ein spikefreies Modell, den Marathon GT 365
- Michelin hat den gröberen Ganzjahresreifen “StarGrip” mit sternförmigen Profilblöcken entwickelt
- Continental hat einen Schlechtwetterreifen speziell für Rennradfahrer entwickelt, der auf den Namen Continental Grand Prix 4-Season hört und nebenbei einen guten Pannenschutz bietet
- Continental bietet außerdem den TopContact Winter II an, einen waschechten Winterreifen ohne Spikes, der noch relativ leicht ist
- Nokian produziert für Skandinavien ebenfalls seit Jahren Spikereifen für Räder, weil sie dort artgerecht eingesetzt werden
Nach meiner Erfahrung der letzten durchradelten Winter taugt ein glattes Sommer-Slick-Profil im Winter überhaupt nicht. Leider bringt aber auch ein grobes, offenes Profil von MTBs nicht den erwünschten Grip im Schnee und überhaupt nicht auf nassen Herbststraßen. Auch grobe Geländereifen werden bei tieferen Temperaturen hart und verzahnen sich nicht gut mit glattem Untergrund. Zudem rollen grobe Profile unterirdisch schlecht. Wohnt man im Erzgebirge, im Sauerland oder in den Voralpen lohnt sich sicherlich die Anschaffung von echten Spike-Reifen für eine festgefahrene Schneedecke und eisige Untergründe, die eine gewisse Permafrost-Sicherheit bieten. Leider gibt es für Leute wie mich (Ostwestfälischer Flachlandtiroler) nur einen einzigen “echten Fahrrad-Winterreifen” ohne Spikes, der für Berufspendler ernsthaft in Frage kommt: Den Continental TopContact Winter II Premium. Ich will hier keine Werbung für Conti machen, aber diese Firma hat es als einzige begriffen, einen alltagstauglichen Winterreifen für Fahrräder zu entwickeln, der mit relativ wenig Gewicht komfortabel ist und sich auch auf trockener Straße noch relativ leicht fahren lässt. Dieser Reifen punktet neben einer weicheren Gummimischung mit tausenden von winzig kleinen Micro-Lamellen. Außerdem verzichtet das Reifen-Design auf hochgezogene Schulterstollen, die den Pneu optisch breiter wirken lassen, aber dafür in der Kurve extrem bremsen. Dieser Fahrrad Winterreifen hat einen klassischen, runden Querschnitt, mit dem man sich eben zweiradtypisch auch mal richtig in die Kurve legen kann. Auf einer festgefahrenen Schneedecke sowie im losen Pulverschnee oder Schneematsch hinterlässt der Reifen wirklich einen überdurchschnittlich guten Eindruck. Kontrolliertes, zügiges Radfahren im Schnee oder auf einer festgefahrenen Schneedecke macht damit richtig Spaß. Der Reifen hält zuverlässig seine Spur, versucht in verschneiten Fahrbahnrinnen nicht gewaltsam an der Seite hochzuklettern wie grobprofilige Reifen das gern tun, sondern folgt einfach berechenbar und treu der angepeilten Linie des Lenkers.
Spike-Reifen fürs Rad
Alle anderen Hersteller setzen gleich auf Spikes, die in Deutschland auf Fahrrädern zwar erlaubt sind, total cool aussehen, aber leider auch einen Haufen Nachteile mit sich bringen:
- Spike-Reifen sind sehr schwer und rollen ausgesprochen schlecht
- Spike-Reifen sind laut und ziemlich teuer
- Spike-Reifen sind auf Straßen ohne Schneedecke schnell verschlissen und müssen sogar eingefahren werden
- Viele Spike-Reifen müssen mit abgesenktem Luftdruck gefahren werden, um richtig zu greifen und laufen deshalb noch schlechter
Ihr echter Vorteil: Auf Eis und bei Glätte sind sie natürlich unschlagbar. Aber ich persönlich fahre bei Glatteis nicht Fahrrad, obwohl ich ein Zweirad-Nerd bin. Es ist meiner Ansicht nach einfach zu gefährlich. Ein kleiner Rutscher bei Glatteis kann einem schnell die kalten Knochen brechen.
Deshalb brauche ich keine Spike-Reifen, sondern normale Winterreifen wie beim Auto, mit denen man auch mal 50 Kilometer auf trockener Straße abspulen kann, ohne gleich alle Nachteile eines Nagel-Reifens mit gehärteten Metallstiften in Kauf nehmen zu müssen. Und der Winter ist lang: Von Dezember bis März will ich mich nicht vier Monate mit schwergängigen Pickel-Pneus rumquälen, aber ich möchte trotzdem sicher ankommen, auch wenns mal etwas rutschig wird. Hier in Bielefeld haben wir vielleicht fünfmal weiße, verschneite Radwege im Jahr, fünfmal ist es wirklich glatt auf den Straßen (ich fahre dann wie bereits erwähnt nicht mit dem Rad).
Aber mindestens dreißig Mal ist es bitterkalt, droht überfrierende Nässe, Schneeregen fällt und verwandelt den Rest vom Herbstlaub in eine glitschige Oberfläche. Aus diesem Grund fahre ich Winterreifen ohne Spikes, denn die laufen leicht und bieten mit ihrer weichen Gummimischung eine Menge passiver Sicherheit. Ich fahre die Continental Top Contact Winter II nun bereits im sechsten Winter seit 2013. Das feine Lamellenprofil ist sogar nach dieser Zeit noch halbwegs passabel. Ich könnte mir vorstellen, dass diese Reifen auch auf E-Bikes im Winter eine sehr gute Figur machen: Sie sind nach ECE-R75 Norm bis 50km/h Unterstützung zertifiziert.
Reifengrößen & technische Daten Continental TopContact Winter II Premium
- 42-622 28 x 1.60 faltbar Reflex, 680 Gramm, Luftdruck 3,5-6,0 Bar
- 37-622 28 x 1 3/8 x 1 5/8 faltbar Reflex, 470 Gramm, Luftdruck 4,0-6,0 Bar (das Testexemplar)
- 50-584 27.5 x 2.00 faltbar Reflex, 640 Gramm, Luftdruck 3,0-4,5 Bar
- 55-559 26 x 2.20 faltbar Reflex, 745 Gramm, Luftdruck 3,0-4,0 Bar
- 50-559 26 x 1.90 faltbar Reflex, 610 Gramm, Luftdruck 3,0-4,0 Bar
- Zur Hersteller-Website Continental
Nachteile des Conti-Winterreifens?
Die gibt es auch: Da wäre einmal der hohe Anschaffungspreis von knapp 50,- Euro, der unverschämterweise fast auf dem Niveau von Autoreifen liegt. Im Neuzustand stehen tausende von winzigen Gumminippeln aus dem Spritzguss-Verfahren ab, die bei manchem Fahrrad am Schutzblech schleifen und auch auf der Straße anfangs ein suboptimales Gefühl erzeugen, bis sie nach einiger Zeit endlich abgefahren sind. Das dauert vor allem an Vorderrad ziemlich lange und nervt anfangs durch schwammiges Fahrgefühl zuzüglich unerwünschter Bremswirkung.
Allwetterreifen Michelin Stargrip im Winter
Als Pendant zum Conti-Winterreifen gibt es noch den recht breit ausfallenden Ganzjahresreifen Michelin Stargrip. Meine Lebensgefährtin hat ihn jahrelang im Winter getestet und sich damit in der kalten Jahreszeit relativ sicher gefühlt. Aber im Gegensatz zum Conti Top Contact Winter II rollt der Michelin nicht so leicht, bringt spürbar mehr Gewicht auf die Waage und ist eben kein waschechter Winterreifen, der sich mit feinen Lamellen im Schnee verzahnen kann. Sondern eher ein “MS-Reifen” – also für schmutzige Wege gemacht. Gern setzt sich das offene Profil mit Tonnen von Streugut-Steinchen zu. Dank seiner relativ weichen Gummimischung und des günstigen Preises ist er aber nicht die schlechteste Entscheidung an kalten Tagen. Nur im Sommer muss der Reifen genau deswegen auch ganz schnell wieder vom der Felge runter! Den Begriff “Ganzjahresreifen” trifft es beim Michelin Stargrip also nicht ganz, auch wenn das Profildesign kristalline Schneeflocken erkennen lässt. Testurteil: Ein voluminöser Schlechtwege-Reifen, der innerhalb seiner Profilierung aber nirgendwo echte Schwerpunkte setzt.
Michelin Stargrip Größen
- 1,85 x 26, 840 Gramm, Luftdruck 2.5 – 6 Bar
- 35 x 700, 680 Gramm 3 – 6 Bar (der getestete Reifen)
- 40 x 700, 745 Gramm 2.5 – 6 Bar
- Zur Hersteller-Website von Michelin
Grand Prix 4 Season für Winter-Rennräder
Interessant für Rennräder und schnelle Gravel-Bikes im Winter ist der Continental Grand Prix 4 Season. Als waschechter Ableger des legendären Grand Prix 4000S II (einer der besten und pannensichersten Alltags-Rennradreifen – mittlerweile abgelöst durch den Grand Prix 5000) leistet er sich laut Testberichten zwar kaum Schnitzer, ist aber durch das geschlossene Profil kein richtiger Winterreifen. Zumindest nicht für verschneite Fahrbahnen. Aber für nasse und trockene, splittgestreute Straßen bei niedrigen Temperaturen taugt der Ganzjahresreifen eben doch: Die Pannensicherheit und die weichere Gummimischung sind beim 4 Season höher als beim Straßen Grand Prix von Conti.
Diesen Reifen gibt es übrigens auch in 32 mm Breite. Er kann damit auch gut auf Cross- und Gravelbikes gefahren werden. Bezahlt wird dieser Komfort und der höhere Pannenschutz mit einem etwas höheren Rollwiderstand. Laut www.bicyclerollingresistance.com sind beim 4 Season 17.2 Watt Tretkraft nötig statt nur 12.2 Watt beim Sommermodell Grand Prix 4000S II. Aber zum Vergleich: Der offenprofillige Continental Top Contact Winter II benötigt satte 28.5 Watt und ein profilloser, sehr leichter Schwalbe Kojak Sommerreifen in immer noch satte 24.8 Watt. Für schnelle Drahtesel, die eher bei besserem, aber kaltem Wetter im Winter gefahren werden, eine durchaus lohnende Überlegung, zumal der Reifen auch in 32mm Breite erhältlich ist.
Reifengrößen & technische Daten Continental Grand Prix 4 Season
- 32-622 700 x 32C 320 Gramm 6,0-7,0 Bar
- 28-622 700 x 28C 280 Gramm 6,5-8,0 Bar
- 25-622 700 x 25C 240 Gramm 6,5-8,5 Bar
- 23-622 700 x 23C 230 Gramm 7,5-8,5 Bar
- Zur Hersteller-Website Continental
Fazit nach acht Jahren Fahrrad-Winterreifen-Test
Das Umziehen der Reifen im Herbst und Frühling macht mir vor allem an zwei Fahrrädern gleichzeitig keinen großen Spaß. Trotz allem überwiegen im Winter aus unserer Sicht eindeutig die Vorteile der passiven Sicherheit – oder eben auch einfach “das gute Gefühl”. Die “Oktober bis Ostern-Regel” der Pkw gilt beim Fahrrad absolut nicht. Mein Tipp: Reifentausch im Winter bei Rädern erst so spät wie möglich und im Frühling möglichst schnell wieder demontieren. Denn mit Sommerreifen läuft das Rad leichter, weil sie einfach besser rollen und leichter sind. Bei den rotierenden Massen zählt wirklich jedes Gramm. Deshalb bieten leichte Reifen oft das höchste Tuning-Potenzial am Fahrrad.