Meine Radtour ist heute nur 4 km lang und führt mich in die Bielefelder Stadthalle zur Drahtesel-Messe. Es ist ein kalter Sonntag Mitte März 2016 und wenn ich ehrlich bin, dann finde ich es für eine Fahrradmesse bei 5° Celsius noch viel zu frostig. Da ich in den heutigen Morgenstunden schon eine Radtour nach Werther absolviert habe, fröstele ich beim Abschließen meines Fahrrads in der äußerst trüben Mittagssonne etwas. Der Winter hört dieses Jahr einfach nicht damit auf, sich kälter anzufühlen als er eigentlich ist.
An “der Tüte” am Bielefelder Bahnhof tragen einige Leute bereits wankend Bierflaschen in der Hand. Das Viertel hier zwischen Bahnhof und Stadthalle gilt nicht gerade als “clean”. Wir gehen rein und zahlen jeweils 5,- Euro Eintritt. Diese Gebühr habe ich als Fahrradfreak in den letzen Jahren nie verstanden. Sie hat mich vier Jahre von diesem Event abgehalten, weil ich nicht wusste, warum die Bielefelder Fahrradhändler für eine absatzfördernde, kleine Fahrrad-Messe mit gefühlten 20 Ständen Eintrittsgeld verlangen. Ich verstehe es auch jetzt – im fünften Jahr der Messe noch nicht, bin aber mittlerweile von einem gravierendem Vorteil für alle Messebesucher-Innen überzeugt: Es kommen dadurch auch wirklich nur Fahrrad-Interessierte Besucher herein, und nicht die, die sich auch woanders durch den Sonntag gelangweilt hätten.
Als Vorteil genießt man aber motivierte Fachhändler, die sich Zeit für Beratungsgespräche nehmen, keine völlig überfüllten Gänge und Gott sei Dank nicht gleich 20 Fressbuden. Rückblickend finde ich die 5,- EUR Schutzgebühr großartig!
Was auf dieser Bielefelder Drahtesel-Messe (Website leider offline) gleich am Eingang die allgegenwärtigen OWL-Autoverkaufsstände zu suchen haben, leuchtet mir im Kontext einer Zweiradmesse hingegen gar nicht ein. Sie wirken hier ungefähr so deplatziert, wie Atomlobby-Currywurstbuden auf einem Grünen-Parteitag. Etwas mehr Feingefühl täte ganz sicher gut.
Stürzen wir uns ins Bielefelder Fahrrad-Messegetümmel
Am zweiten Stand fällt mir ein sehr schönes Schutzblech auf. Das Curana CLite Schutzblech besteht aus einem Kunststoffkörper, um den in Sandwichbauart zwei hauchdünne Alubleche gelegt sind. Das Ganze sieht sehr edel aus und ist dazu von sehr flacher Bauart. Ein winzig kleiner LED-Scheinwerfer ist darunter befestigt. Formal zweifelsohne ein Traum.
Auch von hinten betrachtet ist dies eine wirklich schöne Lösung: In das Curana CLite wurde ein extrem flaches LED Rücklicht integriert. Sehr schön, wirklich. Ob es so auch der Straßenverkehrsordnung entspricht möchte ich aber bezweifeln, da vorn und hinten Reflektoren fehlen. Trotzdem – endlich mal sauber integrierte Technik, statt dran geschraubter Klimbim. Schaut man online in die technischen Daten von > Curana.com, findet man derzeit sehr wenig Informationen von der belgischen Firma. Auf Amazon gibt es leichte Schutzbleche in verschiedenen Breiten mit einem etwas schwereren Montagesatz – aber leider nirgendwo die passenden Fahrradlampen dazu.
Probefahrt auf einem STRIDA LT Faltrad
Schlauerweise ist ein kleiner Teil des Messegeländes für Probefahrten abgesperrt. Ich habe die Ehre, ein dreieckiges Strida Faltrad anzutesten.
Winzig kleine 16″ Räder auf einem simplen Delta-Rahmen-Konzept aus dem vorletzten Jahrhundert vermitteln mir ein erstaunlich ausgereiftes Fahrgefühl. Die ultrakompakte Bauart des Faltrads ist verblüffend. Auf dem Foto rechts sieht man mir die pure Fahrfreude regelrecht an. Das Konzept überzeugt mich sofort bis auf ein kleines Detail…
Der Lenkkopfwinkel ist wie bei Chopper-Motorrädern allerdings sehr gewöhnungsbedürftig. Er lässt das Rad bei niedrigen Geschwindigkeiten aufgrund des extremen Winkels kippelig wirken. Es ist nicht das erste Faltrad, was ich teste, sondern es ist das Fahrrad mit der stärksten Gabelneigung, das ich je gefahren bin. Ob ich mich daran auf Dauer gewöhnen könnte, weiß ich nicht. Bremsen, Antrieb und Rahmen überzeugen mich vollends. Auch der Faltmechanismus ist bis in das kleinste Detail ausgetüftelt. Es gibt von > Strida.de noch bessere und leichtere Modelle, teilweise deutlich unter 10 kg wiegen. Für Leute, die das Rad täglich z.B. in London aktiv als minimales Faltrad in der Bahn benutzen, ist es wahrlich eine geniale Erfindung. In Deutschland kommen radikale, mobile Trends erst so ganz langsam an.
Fahrrad mit Holzrahmen
Was man mit Holz alles machen kann, zeigte ein fachkundiger Tischler aus Steinhagen auf der Fahrradmesse…
… das Fahrrad mit dem Holzrahmen war zwar nicht gerade leicht, aber dafür handwerklich perfekt gebaut.
Schwalbe G-One Gravel Reifen
Für mich persönlich ist dieses Foto als Cross-Bike-Fahrer natürlich eine Augenweide: Die Firma Schwalbe hat mit dem G-One einen sehr leichten Rennrad-Reifen konzipiert, der zwar etwas fürs Gelände gemacht ist, aber trotzdem noch als Allround-Tourenreifen mit dem Schwerpunkt Straße gelten kann. Derzeit ist der Schwalbe G-One in der Dimension 27,5 und 28 Zoll erhältlich. Laut Herstellerangaben soll er extrem leicht abrollen…
Beim Verkaufspreis muss ich allerdings schlucken: Dieser professionelle Wald- und Wiesen-Fahrradreifen von Schwalbe kostet fast soviel, wie ein Autoreifen. Die Zielgruppe sind Freizeitsportler. Da fragt man sich, ob man bei diesen Preisen nicht doch wieder gleich aufs Auto umsteigen soll. Immerhin halten Autoreifen bei moderater Fahrweise 50.000 Kilometer. Trotzdem eine schicke Pelle, die ich auf einer Radtour gern mal antesten würde…
Weitere Fahrrad-Trends
Hercules präsentiert sich 2016 in ganz modernen Farben. Die samtblaue Spezial-Lackierung hat mich wirklich erstaunt. Hercules war früher mal ein namhafter Fahrrad-, Moped- und Motorradhersteller, der im 19. Jahrhundert als Nürnberger Velozipedfabrik Hercules firmierte. Nach drei oder vier Übernahmen der Firma nach dem zweiten Weltkrieg werden die noch verbliebenen Fahrräder heute in Ungarn und Asien gebaut.
Zur > Herstellerseite von Hercules
Mehr Details zur > Hercules-Geschichte findet man in der in der Wikipedia
Zahnriemenantriebe sind immer noch ein großes Thema. Bei all den Vorteilen, wie Langlebigkeit, Wartungsarmut und keine ölverschmierten Hosen mehr kosten sie beim Treten wohl doch etwas mehr Kraft als eine herkömmliche Rollenkette.
“Feine Räder” zeigte unter anderem das Portfolio von Busch und Müller Fahrrrad-Leuchten. Bis zu 100 Lux…
… und eine aufgeschnittene Rohloff-Getriebe-Nabe. Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass diese kleinen Zahnräder, die gesamte Kraft beim Radfahren tragen können, aber es funktioniert perfekt. Rohloff produziert derzeit die besten Getriebenaben der Welt.
Das waren meine Eindrücke von der Drahtesel-Messe 2016 aus Bielefeld. Die Bielefelder Fahrradmesse wirkt auch im fünften Jahr für meinen Geschmack noch zu klein für eine zukünftig ausgerichtete, mobil-gerüstete Zweirad-Großstadt, die es mit zahlreichen, glorreichen Herstellern früher ja mal war. Man darf heute nicht mehr zuviel erwarten: Sind es doch primär die fünfzehn größten Bielefelder Fahrrad-Händler, die hier die neuste Technik und Zweirad-Trends ihrer Marken zeigen und sich wirklich Mühe geben.
Wer mal auf größeren Zweiradmessen wie z.B. der IFMA war, erkennt aber sofort, dass echte Trends hier lieber verkauft- als gemacht werden. Es geht nicht sonderlich weit über eine reine Informationsveranstaltung vom Verkäufer zum Verbraucher (B to C) hinaus. Man erkennt das schon daran, dass kaum Hersteller, sondern nur Händler vor Ort sind. Andersrum gesehen: Als interessierter Verbraucher kann man gut eine Stunde Spaß haben, sich gründlich informieren und mal ein paar Räder ausprobieren. Rund 6.000 Besucher haben die Drahteselmesse Bielefeld in diesem Jahr besucht.