MZ ES 250/2 Trophy mit 19PS

Die MZ ES 250/2 polarisiert bis heute. Eigentlich war die 250er schon vor knapp 50 Jahren so unanständig hässlich, dass viele Menschen das DDR-Design heute irgendwie wieder schön finden. Das “ES” stand bei MZ als Kürzel für “Einzylinder Schwinge”. Auch das ist ein Insider-Witz, denn mehr als einen Zylinder gab es neben der BK 350 (ein Zweizylinder Boxer Zweitakter) nie im Osten der Republik. Was zeichnet die ES 250/2 also aus?

 

Da sind die riesigen MZ-ES-Kotflügel aus massivem Blech, die mit dem Tank fest verschmolzene Lampenverkleidung samt rechteckig eingefasster “Fernsehlampe” und die massive Vorderradschwinge, die bewusst für einen Beiwagen konstruiert wurde, weil es früher wenig Autos gab, oder weil man in der DDR früher ca. 10 Jahre auf einen neu bestellten Trabbi zu einem Wucherpreis warten musste. Die MZ gab es oft sofort im Laden. Solo, mit Beiwagen für die Familie oder sogar mit stabilem Lastenseitenwagen z.B. für Handwerker, die darin Ihr Werkzeug- und Montagematerial transportierten. Noch heute kommen MZ ES-Fahrer/Innen mit Ihrem Lastenseitenwagen gern zu Motorradtreffen und haben statt der Freundin oder Ihrem Hund auf dem Seitenwagen noch ein zweites Oldtimer-Motorrad dabei. Ein echt cooles Bild, dass sich einprägt, mindestens so cool wie ein alter Ami-Pickup mit Motocross Maschinen oder Surfboards auf der Ladefläche.

 

Wie fährt sich eine 50 Jahre alte MZ ES 250/2 heute?

Wenn man auf der alten MZ fährt, hat man durch den lang gestreckten Tank das großartige Gefühl auf einem Delfin oder einem Wal über das Meer der welligen Straßen zu gleiten. Der etwas bockige 19 PS-Motor schnurrt kraftvoll über ultraschlechte Straßen und Kopfsteinpflaster, die weiche Federung bügelt alles weg, wenn man den Zweitakter nicht gerade scheucht. Der alte Motor hat vor allem Dampf direkt aus dem Drehzahlkeller, er will eigentlich gefahren werden wie ein Viertakter. Trotz 156 kg Kampfgewicht fährt sich die alte ES/2 nicht lahm aber der Motor ist ein rauer Geselle. Neben dem hohen Gewicht entsprechen die Abgaswerte ungefähr denen von fünf frisierten Zweitakt-Motorrollern. An der Tankstelle müssen 300 ml Zweitaktöl in den Tank gegeben werden, um auf ein Gemisch von 1:50 bzw. 1:60 zu kommen, sonst geht der Motor fest. Eine Getrenntschmierung gab es bei MZ erst bei späteren Modellen.

 

Der Verbrauch von ca. 5 Litern Normalbenzin geht heute noch mehr als voll in Ordnung, aber der Geruch ist auch bei vollsynthetischem, teurem Öl schon sehr intensiv. Das extrem hakelige 4-Gang Getriebe degradiert den verträumten Landstraßen-Genießer allerdings zum  reinen Maschinisten zurück in die Vorkriegsära. Hier ist in der Konstruktion etwas schief gegangen, denn als besonders lange haltbar gilt der krachende Räderkasten nicht. Ohne dicke Stiefel ist die MZ schmerzfrei nicht schaltbar. Zwischen jedem Gang liegt ein Leerlauf, an der roten Ampel stehend den Leerlauf zu suchen ist schier unmöglich. Obwohl die Zahnräder der alten MZ eher überdimensioniert sind, nudeln die konischen Hinterschneidungen der Mitnehmer gerne aus. In Folge fliegen die Gänge heraus oder lassen sich kaum noch einlegen: Spätestens dann muss der Motor gespalten werden.

 

Dafür liegt man über dem langen MZ-Tank und der Wahnsinnslampe wirklich sehr entspannt gebeugt im Wind. Der breite, leicht abgewinkelte Lenker ist ein Traum: Tiefenentspanntes Fahren ist damit genauso möglich, wie sportlichere Gangarten. Bei 120 km/h Höchstgeschwindigkeit liegend ist allerdings Schluss mit jeglichem Komfort und guten Manieren, die optimale Reisegeschwindigkeit des alten Zweitakters liegt zwischen 70-100 km/h – schon allein wegen der knapp 50 Jahre alten Simplex-Trommelbremsen, die permanent für fahrschultauglichen Sicherheitsabstand zum Vordermann sorgen. Die Vorderradbremse verfügt noch nicht mal über einen eigenen Bremslichtschalter…

 

MZ-ES-250 Restaurierung und Reparatur

Ursprünglich erschien diese MZ-ES-Foto-Session mal 2012 auf dem neuseeländischen Kult-Bike-Magazin www.bikeexif.com von Chris Hunter. Die englischsprachige Ausgabe ist aberwitzig geschrieben und es hagelte damals interessante Kommentare von weltweit verstreuten Lesern. Die MZ läuft bis heute noch und ergänzt meinen Zweiradpark um einen immer noch verlässlichen, faszinierenden DDR-Oldtimer.

Neue VAPE Zündung MZ ES 250/2

Kontaktlose VAPE-Zündung für die ES 250/2

Auf meiner alten, deaktivierten Website Simantik.de habe ich ausführlich beschrieben, wie man die alten ES/2 Modelle alltagstauglich restauriert. Dazu gehört eine sehr gründliche Inspektion, bei der alle Verschleißteile ausgewechselt werden, und die meist in mehreren Intensitäts-Wellen über Monate verläuft. Zunächst habe ich die alte, völlig verschlissene Batterie-Zündung sowie den ausgeschlagenen BVF-Vergaser (Berliner Vergaser Fabrik) gegen moderne Teile ausgetauscht. Der BING-Vergaser wurde mehrfach neu eingedüst bis das Optimum aus Motorlauf, Leistung und Zuverlässigkeit erreicht war. Neue Reifen wurden montiert und eingetragen.

 

MZ ES 250/2 Ersatzteile Getriebe, Kupplung und Kurbelwelle

MZ ES 250/2 Motorteile: Getriebe, Primärantrieb, Kurbelwelle, Kupplung

Die Trommelbremsen wurden überholt, die ausgeschlagene Lagerung der vorderen Schwinge wurde repariert und die Elektrik auf gängige 12 Volt umgestellt. Getriebeteile mussten getauscht werden, alle Motorlager und Dichtungen kamen neu, da der dritte Gang defekt war. Ich habe den Lack nur ausgebessert, und fehlende Verkleidungsteile gegen Originale ersetzt. Zwei bequeme Militär-Einzelsitze statt der Sitzbank und ein modifizierter Haltebügel der MZ ETZ am Heck des Motorrads sorgen für den nötigen Komfort beim Fahren und beim rangieren. Etliche Kabel mussten neu verlegt, verlötet oder neu angeschlossen werden, sogar ein versteckter USB-Anschluss fürs Navi ist jetzt da.

 

MZ ES 250/2 Foto Front

Die markante Front der MZ gilt heute als kultig

Alle Bowdenzüge wurden getauscht und teilweise per Hand angefertigt. Stoßdämpfer und Auspuff wurden durch hochwertige Original-Gebrauchtteile ersetzt. Danach lief die alte MZ richtig gut und war zuverlässig. Ich bin bis heute nur zweimal liegen geblieben, einmal weil ich kein Benzin mehr hatte und ein zweites Mal weil die Batterie leer war. Das kann jetzt mit der kontaktlosen VAPE-Zündung nicht mehr passieren.  Zum Schluss habe ich noch einige betongraue Aluteile hochglanzpoliert. Der Charme von Flugrost, Zweitakt-Ölnebel und Patina rücken das Alter der MZ in ein authentisches Licht. Die Motorräder wurden früher auch im Winter bei Streusalz gefahren.

 

MZ ES250/2 Eisenschwein

Der raue Motorlauf und das hohe Gewicht prägten den Namen “Eisenschwein”

Die Elektrik aller alten MZ muss gründlich überholt werden, sonst bleiben die Ausfahrten immer ein Glücksspiel. Ein neuer Kabelbaum ist deshalb sinnvoll, weil der alte oft zigmal geflickt wurde und die Farben nicht mehr stimmen. Ich empfehle auch unbedingt alle Glühlampen durch einen Satz NARVA-Lampen zu ersetzen, da sie durch die Vibrationen und die alte 6 Volt-Elektronik sonst immer wieder durchbrennen. An der Tanke gibt es keine 6 Volt Ersatzlampen mehr. Sicher gefühlt habe ich mich erst mit modernem 12 Volt Halogenlicht nach dem Einbau der wartungsfreien VAPE-Zündung.

 

 

Klassisches DDR Design MZ ES 250/2

Klassisch-kompakte Formen dominieren das Design der MZ auf höchst eigenwillige Art. Die grüne MZ-Farbe ist zwar nicht original, aber ich habe die Lackierung so belassen, weil sie schon wieder Patina hatte. Das Transportnetz auf dem Beifahrersitz hat schon sehr oft ungeplante Einkäufe möglich gemacht. Der Auspuff ist von der ETZ 250, er ist leiser und der Motor läuft damit etwas besser.

 

 

 

Schall und Rauch aus dem MZ-Zweitaktauspuff

Was mir neben dem extrem entspanntem Cruisen auf der Landstraße am meisten Spaß macht, ist die Beschleunigung samt Klang im dritten Gang. Der außerordentlich elastische MZ-Motor zieht dabei mit einem wirklich ultrafetten Zweitakt-Sound in Motocross-Manier bis in die Drehzahlgrenze von ca. 80-90 km/h. Diesen Klang gibt es heute auf öffentlichen Straßen schon lange nicht mehr. Es ist vor allem ein Spektakel für die Ohren sowie ein Duftkonzert für die Nase und nicht einfach nur blöd laut. Schon damals wären aus 250 Kubikzentimeter MZ-Zweitakter locker 40 PS drin gewesen, heute sicherlich 65-70 PS – aber darum geht es bei diesem Motorrad gar nicht. Hier fasziniert eher die Kraft aus dem Zweitakt-Drehzahlkeller samt der archaischen Aura. Hier ein MZ-Video von 2010 auf Youtube.

Jeder Gaswechsel ist deutlich in den kribbelnden Händen zu spüren, der Motor will auf Zug gehalten werden, bummeln liegt ihm nicht. Er äußert sich durch Spotzen, Schieberuckeln und durch ein gequältes Pfeifen aus dem 4-Gang Getriebekasten. Insgesamt ist die MZ ein charmantes Raubein, der Pilot ist eher Maschinist als Motorradfahrer-In. Dafür überzeugt der geringe Verbrauch, der durch den 14-Liter-Tank knapp 300 km ohne Tankstopp ermöglicht. Die zweifach verstellbaren Federbeine samt rahmenfester Fußrasten erlauben den komfortablen Soziusbetrieb. Das Fahrwerk ist recht gutmütig und wenn der Motor und die Elektrik einmal vernünftig überholt wurden, dann ist die alte MZ sehr, sehr zuverlässig.

 

Riesige Schutzbleche der ES250/2

Die riesigen Schutzbleche der MZ ES250/2 galten schon 1968 als altmodisch

MZ ES 250/2 Rücklicht

MZ “VEB Kradleuchten” sind noch original DDR-Ware aus der Vorwendezeit

1968 schrieb MZ mit der ES/2 deutsche Motorradgeschichte

Die MZ ES-Serie war das erste Motorrad mit elastisch aufgehängtem Motor und mit asymmetrischem Scheinwerferlicht (6 Volt-Bilux). MZ hat zu dieser Zeit sehr oft die internationalen Sechstage-Rennen, die heutigen “Six-Days” hintereinander gewonnen, daher der Zusatzname “Trophy”, den nur die 19 PS Version tragen durfte.  Neben der ursprünglichen 17 PS Version gab es noch eine baugleiche MZ ES 175/2, dessen Motor trotz weniger Leistung insgesamt ausgewogener und weniger rau lief. MZ war Ende der 60er Jahre sogar der größte Motorradhersteller der Welt.

MZ-Motorräder für das Volk

Aus Devisen- und Ressourcenmangel entwickelten die zschopauer Kontrukteure damals ein schlaues MZ-Baukastensystem, in dem sich sehr viele Ersatzteile der verschiedenen MZ-Modelle untereinander austauschen ließen. Sie trimmten die Motoren auf Durchhaltevermögen, schlechten Sprit und Sparsamkeit, statt auf Leistung. Das Motorrad stellte in den 60er Jahren in der DDR noch eine echte Alternative zum Auto dar. Die MZ-Rennmaschinen waren dagegen alle handgefertigte Einzelexemplare, die von Lehrlingen in mühseliger Arbeit aus hochwertigen Material-Einzelteilen auf Hundertstel genau zusammengefeilt wurden. Alle internationalen Fahrer gehörten in der DDR einem streng überwachtem Leistungssport-Kader an. Man kann darüber denken was man will, aber einige grundlegende Ideen aus dem Osten der Republik waren wirklich sehr effizient. Westautohersteller brauchten für diesen Schritt gut 30 weitere Jahre, um austauschbare Plattformen und kompatible Modell-Systeme zu entwickeln. Im Osten lief das in den 70er Jahren schon – Not macht erfinderisch.

 

MZ-ES 250/2 Lichtschalter

Segmenttacho der MZ

Original DDR MZ-Tankdeckel

Klassischer MZ-Tacho mit LEDs beleuchtet

 

 

 

MZ ES-250/2 Technische Daten und Besonderheiten


  • Viele MZ-Ersatzteile kann man heute noch in Werkstätten oder im Onlinehandel neu kaufen
  • Die MZ ES 250/2 kostete 1973 neu 3.205,- Mark (Ost), die 175/2 kostete 2.910,- Mark (Ost)
  • Reparaturen können erfahrene Schrauber selbst erledigen, aber der Motor braucht Spezialwerkzeug und Know-how
  • Ein Umbau auf eine kontaktlose 12-Volt-Zündung (VAPE) ist angeraten
  • Der Tausch des BVF-Vergasers gegen einen BING-Vergaser ermöglicht Standgas und Wartungsfreiheit
  • Die MZ Kettenschläuche lassen die voll gekapselte Kette über 30.000 km halten
  • Die MZ ES 250/2 läuft seit sechs Jahren problemlos im Alltag, Steuer und Versicherung sind extrem günstig
  • Autobahnfahrten sind zwar möglich, praktisch allerdings kein Vergnügen, der Verbrauch steigt dann gern auf 8 Liter
  • Versicherung und Steuer liegen pro Jahr auf 50er-Roller-Niveau, beim TÜV entfällt die AU…

 

 

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