Bremsscheiben und Beläge wechseln
Auch nach zweieinhalb Jahren auf meinem 2014er Stevens Cyclocross Vapor konnten mich die mechanischen Shimano Scheibenbremsen mit den organischen Bremsbelägen (Shimano-Sprech:”Resin”) nicht überzeugen. Obwohl ich die vorderen Shimano-Beläge bereits gegen spezielle Cool-Stop Bremsbeläge getauscht hatte, funktionierte die Bremse nur warm halbwegs zufriedenstellend. Kalt machte sie häßliche Geräusche und rubbelte in Form von heftigen Vibrationen. Gegenüber den Shimano-Originalbelägen, hielten die Coolstop-Beläge KS-D635 zigmal solange. Und man musste sie nicht schon nach 70 km reinen Straßenbetriebs (!) nachstellen, sondern vielleicht erst nach 700 km. Trotz der besseren Bremsleistung war das für mich noch keine zufrieden stellende Lösung. Mechanische Scheibenbremsen wie meine Shimano BR-CX77 sind für Ihre Kinderkrankheiten bekannt. Trotzdem wollte ich sie nicht gleich gegen eine komplett neue Bremsanlage tauschen. Denn dafür müssen nicht nur neue Bremssättel her, sondern auch neue Bremszüge mit längeren Innenzügen verlegt werden. Beim Stevens Vapor ist das wegen der im Rahmen verlaufenden Bremszügen dann schnell ein ziemlich aufwendiger Umbau mit ungewissem Ausgang.
Mir fehlte beim derzeitigen Bremsverhalten:
- ein exakter Druckpunkt – also eine gute Modulation
- eine angenehmere Geräuschkulisse statt dem nervtötenden Quitschkratzen der Koolstop-Beläge
- eine höherer Verzögerungswert oder geringere Handkräfte
- kein Bremsrubbeln mehr in der Vorderradgabel
- die Garantie für eine freigegebene Kombination mit originalen Bremsteilen von Shimano
Also entschied ich mich dazu auf leistungsfähigere Metallbeläge umzurüsten. Dazu müssen aber auch die Bremsscheiben selbst gewechselt werden. Meine bisherigen Shimano SM-RT56 Bremsscheiben vertragen leider nur die weicheren Resin-Kunststoffbeläge: “Resin-Pads only” ist in die billigen 10,- Euro Bremsscheiben eingelasert. Die Zusammenstellung von passenden Bremsscheiben und Belägen im Internet dauerte seine Zeit. Zum einen ist nur in den wenigsten Fahrrad-Online-Shops aufgeführt, welche Bremsen mit welchen Scheiben und Belägen kompatibel sind. Zum anderen wechselt Shimano von Jahr zu Jahr gerne die Bezeichnungen für die Ersatzteile, um eine permanente “Produkt-Evolution” vorzugaukeln. Das macht schon allein die reine Ersatzteilsuche extrem kompliziert, da die Originalteile bereits nach zwei Jahren anders heißen.
Verschiedene Arten von Scheibenbremsbelägen für Fahrräder
Fahrrad-Scheibenbremsbeläge bestehen aus einem Trägermaterial und einem Reibbelag. So kann das Trägermaterial aus Titan bzw. Stahl gefertigt sein oder z.B. aus Aluminium. Je dichter das Material der Trägerplatte und der Reibbeläge ist, desto größer ist die unerwünschte Hitzeabgabe direkt an die Bremskolben. Der eigentliche Bremsbelag ist auf der Trägerplatte aufgeklebt oder aufgenietet und / oder zusätzlich verklebt und versickt. Dieser besteht aus verschiedenen Komponenten für verschiedene “Bremsdisziplinen”, die beim Radfahren typischerweise auftreten wie z.B:
- Lange Bergabfahrten mit schwerem Gepäck bei Reiserädern
- viele Kilometern mit hoher Alltagsleistung bei Berufspendlern
- Geländefahrten mit viel Schmutz bei MTBs
- wirksame Vollbremsungen im Rennsport bei hohen Geschwindigkeiten
Die Mechanik der Scheibenbremse muss möglichst hitzeresistent konstruiert sein. Überhitzte Bremsen versagen manchmal, das gilt auch für Fahrräder. Einige Bremsbeläge können mit zusätzlichen “Tuning-Fächern” im Fahrtwind gekühlt werden. Durch die vergrößerte Oberfläche wirken sie im Fahrtwind wie Kühler, passen aber nicht an jede Scheibenbremsenart.
Fernab aller modernen Scheibenbremsen: Die gute, alte Fahrrad-Felgenbremse ist im Prinzip eigentlich nichts anderes als eine große, mechanische Scheibenbremse mit winzigen Bremsbelägen. Die Felge selbst verschleißt dabei in der Funktion “als Bremsscheibe” solange, bis sie durch abgetragenes Material irgendwann bricht. Das passiert relativ häufig, wird aber von Langstrecken-Radfahrern gern als banale “Materialermüdung” statt Verschleiß wahrgenommen. Fast alle Fahrradfelgen mit Felgenbremsen verfügen deshalb über eine eingepresste Fuge, die abgebremst – also von außen sichtbar – als Alarmzeichen für verschlissenes Material gilt. Scheibenbremsen beheben dieses Problem durch verschlissene Bremsscheiben, die relativ einfach und kostengünstig ausgetauscht werden können. Dafür muss das einzelne Laufrad aber extrem stabil konstruiert sein. Ansonsten würden bei einer Gewaltbremsung die Speichen abreißen.
Bremsbelag-Arten für Fahrrad-Scheibenbremsen
Organische Fahrrad-Scheibenbremsbeläge (Resin)
Organische Bremsbeläge bestehen aus einem Gemisch aus Glas, Kunststoff, Gummi, Carbon, Kevlar und Bindemitteln sowie temperaturresistenten Kunstharzen, die den Komponentenmix zusammenhalten. Sie machen in der Regel kaum Geräusche, geben wenig Wärme an den Bremskolben ab, haben oft keinen exakten Druckpunkt und verschleißen gern extrem schnell. Die Bremsscheibe selbst hält dadurch länger durch, aber die Beläge müssen bei mechanischen Scheibenbremsen sehr oft nachgestellt werden. Bei hydraulischen Scheibenbremsen entfällt dies, dafür müssen die Beläge hier aber oft komplett ausgewechselt werden: Einige Radler berichten von nur wenigen hundert Kilometern… Die günstigen Bremsscheiben für Resin- bzw. für organische Bremsbeläge vertragen fast nie Metallbremsbeläge. Sie müssen für Sinter-oder Metallbremsbeläge fast immer durch teurere, beständigere Bremsscheiben ersetzt werden.
Dafür benötigen die Resin-Beläge nur eine kurze Strecke für um eingebremst zu werden, bevor sie richtig zupacken. Was viele nicht wissen: Nach dem Einbremsen von organischen Belägen sollte noch ein sog. “Scorching” erfolgen. Dabei bremst man z.B. bei einer Bergabfahrt intensiv solange mit einer Scheibenbremse, bis ein leicht spürbares Brems-Fading einsetzt (also eine nachlassende Bremsleistung durch Hitze). Erst danach gasen die letzen Weichmacher aus den Belägen – sprich sind die Bremsbeläge sind nach dem Abkühlen richtig eingefahren. Organische Bremsbeläge halten dadurch länger. Man sollte dies aber immer nur mit jeweils EINER Scheibenbremse machen, da man die andere Bremse noch zum wirklichen Stillstand benötigt ohne Kopf und Kragen zu riskieren.
Fahrrad-Sinter-Scheibenbremsbeläge
Sinterbeläge bestehen aus heiß zusammengepressten Materialien, die in großer Hitze im Ofen quasi “als Kuchen” zusammen verbacken. Sie sind fester als organische Beläge und halten mehr Hitze aus. Das Granulat der Materialien unterscheidet sich von Hersteller zu Hersteller und ist oft streng geheim. Diese gesinterten Beläge sind verschleißärmer als organische (Resin-) Scheibenbremsbeläge für Fahrräder. Sie quietschen weniger als reine Metall-Bremsbeläge und sind bei langen Bergabfahrten hitze- und verschleißresistenter als organische Beläge. Sie werden in der Erstausstattung hauptsächlich in Japan und den USA gerne montiert und sind ein guter Kompromiss zwischen Langlebigkeit und erzielter Bremswirkung.
Metall-Bremsbeläge für Fahrräder
Metall-Bremsbeläge für Fahrräder bestehen – wie bei Kraftfahrzeugen zum größten Teil aus Metall, Grauguss, Graphit, Messing oder Kupfer, die mit Bindemitteln verklebt und heiß verpresst sind (früher auch Asbest und Blei). Die Vorteile bei metallischen Belägen liegen in einer sehr hohen Hitzebeständigkeit z.B. bei Bergabfahrten, einer hohen Verschleißfestigkeit ähnlich Autobremsbelägen selbst im Gelände, dafür aber einer Neigung zum Quietschen und zu einem höheren Bremsscheibenverschleiß. Das Fahrrad wird beim Bremsen durch die feinen Metallpartikel und den Bremsstaub von Metallpartikeln insgesamt dreckiger. Die Bremsen sind dafür aber leistungsfähig, langlebig und müssen (bei mechanischen Scheibenbremsen) weniger oft nachgestellt werden. Dafür sind sie deutlich hörbar und erfordern eine lange Einbremszeit, bis sie ihre volle Bremskraft entfalten. Die Bezeichnung “Titan-Bremsbeläge” bei Shimano bezieht sich übrigens nur auf die Titan-Trägerplatte – nicht auf das Material der Bremsbeläge.
Ich entschied mich für Shimano Metall-Titan-Beläge G04TI und zwei Bremsscheiben Shimano SM-RT76 in 160 mm. Dafür gibt es einen Grund: Die etwas teureren SM-RT86er Scheiben haben einen Kern aus Aluminium mit zwei dünnen Stahlwänden. In den Bewertungen las ich davon, dass diese sogenannte “Ice-Tech”-Technologie von Shimano zwar abgesehen von ein paar geschmolzenen Exemplaren von Bergfahrern gut funktionieren, dass sie aber sehr schnell verschleißen, weil sich die Stahlschicht im Betrieb einfach abbremst. Neben den Beläge, müssen dann noch alle 1.500 km zusätzlich die Bremsscheiben gewechselt werden.
Der komplette Shimano Bremssatz (2 Scheiben und 4 Titan-Beläge) kostet im Internet ca. 85,- EUR. Beim Vergleich der alten und der neuen Bremsscheibe auf dem Tisch bekam ich zunächst einen Schreck: Die alte SM-RT56-Bremsscheibe war aus einem Stück ganz plan, die neue Bremsscheibe ist mit der Nabenbefestigung vernietet und hat dadurch optischen einen Versatz von ca. 6mm. Dieser verschwindet jedoch wieder in einer eingefrästen Nut, die formschlüssig die Nabe umschließt. Messen kann man das nicht so richtig, ich habe es beim Einbau einfach ausprobiert und es passt, ohne die Bremssättel mit schlechten Tricks versetzen zu müssen.
Zu den Bremsscheiben liefert Shimano passende Sicherheitsbleche und Schrauben mit einer blauen Schraubensicherung. Beides schützt gegen ein ungewolltes Lösen der Bremsscheibe von der Nabe während der Fahrt. Bei der Montage der neuen Bremsscheiben an ein gebrauchtes Fahrrad ist es wichtig, dass der Nabenflansch wirklich hundertprozentig sauber ist. Nur ein paar Sandkörner können die Scheibe schon leicht eiern lassen. Ich habe die Bremsscheiben vor dem Einbau ins Fahrrad nochmal mit Bremsreiniger entfettet, damit keinerlei Fett oder Öl durch die Montage an die neuen Bremsbeläge kommt.
Die metallischen Bremsbeläge G04TI von Shimano bestehen aus einer Titanträgerplatte mit einem aufgeklebtem Belag aus einem Metallgemisch. Sie sind weniger hitzeempfindlich, haben einen höheren Reibwert und halten länger als organische Bremsbeläge aus Kunststoff. Dafür muss man sie leider viel länger einfahren und die Geräuschentwicklung Metall auf Metall ist naturgemäß etwas lauter als bei Kunststoffbelägen. Die alten Bremsbeläge habe ich gekennzeichnet, falls man sie wieder einbauen will: Vorn außen, vorn innen, hinten… nur so hat man nach Monaten noch eine Chance den alten Satz wieder “verschleißrichtig” zu montieren.
Nach Reinigung des Bremssattels habe ich die neuen Bremsbeläge nach allen Regeln der Kunst eingebaut. Das Vorderrad mit der optisch versetzen, neuen Bremsscheibe passte hinein. Danach begann die typische, akribische Einstellung einer mechanischen Scheibenbremse: Jeder halbe Millimeter zählt! Eine ausführliche Anleitung für den Bremsbelagwechsel gibt es hier. Erst nach der ersten, erfolgreichen Probefahrt mit der neuen Vorderradbremse habe ich auch das Hinterrad umgerüstet und bei dieser Aktion gleich eine neue Kette montiert, die Finger waren eh schon dreckig.
Die fertig umgebaute Scheibenbremse an meinem Cyclocross Rad
Fazit nach der ersten Probefahrt mit Metall-Bremsbelägen
- Nach ca. zehn Bremsungen aus 30 km/h begann eine deutliche Bremswirkung einzusetzen
- Nach 10 Kilometern wurden beide Bremsen noch etwas bissiger
- Die Geräuschkulisse beim Bremsen ist überraschenderweise angenehm leise,
- Ein leichtes Quietschen der Hinterradbremse konnte ich durch die exakte Neuausrichtung des Bremssattels eleminieren
- Das Bremsrubbeln am Vorderrad ist völlig verschwunden
- Ich musste die Bremse nach dem ersten Einfahren noch nicht nachstellen. Bei organischen Belägen ist das meiner Erfahrung nach gerade nach dem ersten Einbremsen obligatorisch
- Die Bremsdynamik erinnert mich nun eher an ein Motorrad mit Scheibenbremsen
- Ein Langzeitbericht nach dem richtigen Einfahren folgt an dieser Stelle bald noch…
Bremsleistung bei mechanischen Scheibenbremsen weiter steigern
Das war übrigens noch nicht alles, um mechanische Scheibenbremsen zu verbessern. Der Wechsel auf hochfeste Bowdenzüge mit druckstabilen Hüllen z.B. von Jagwire soll die Bremswirkung ebenfalls spürbar verbessern. Zusätzlich hätte ich am Vorderrad theoretisch auch eine 180 mm große Bremsscheibe montieren können, indem der Bremssattel mit einem Adapter montiert wird. Dafür muss die Gabel und der Rahmen allerdings vom Hersteller freigegeben sein. Dies wurde von Stevens für mein Cyclocross-Modell Vapor auf Anfrage aber leider abgelehnt, evtl. weil es sich um eine Carbongabel handelt. Bei anderen Fahrradherstellern oder Modellen kann eine Freigabe auf größere Scheibenbremsen mit Adapter aber erfolgen, ein Nachfragen bei den Herstellern lohnt sich.
Hinweis: Für die hier beschriebenen Arbeiten an der Bremsanlage übernehme ausdrücklich keine Verantwortung. Bitte gehen Sie zu einem Fachhändler, wenn Sie sich mit Fahrradbremsen selbst nicht gut auskennen.